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Masochist, Talkmaster, Prediger: Hermes Phettberg wird 70

Moderator der legendären "Nette Leit Show" lebt zurückgezogen und schreibt nach wie vor für den "Falter" und "Augustin"
© APA/ GEORG HOCHMUTH

Der ehemalige Moderator Hermes Phettberg (R) am Montag, 09. November 2015, im Rahmen der Aktion Initiative Radio “Der letzte Schrei. Radiomeer vor dem Funkhaus: Schalt Dich ein” vor dem ORF-Funkhaus in Wien

“Eigentlich diskriminiert die Bibel uns LBGTIQys! Immerhin hat Gottvater den Menschen kreiert, und aus diesen Leuten erwuchs ihnen dann unter anderem das Jeansboyige”, schreibt Hermes Phettberg in seiner jüngsten “Falter“-Kolumne “Phettbergs Predigtdienst”. Seine den Sadomasochismus-Sehnsüchte könne er nicht mehr ausleben, beklagt er. “Ich kann eigentlich nur noch im Bett liegen und im Rollstuhl sitzen.” Am Mittwoch (5. Oktober) wird der Extalkmaster 70 Jahre alt.

“Meine Unattraktivität hat niemanden auf mich richtig geil gemacht. Und wo keine Geilheit ist, geschieht auch kein Echo”, benannte Phettberg das Problem einmal im APA-Interview. Nach mehreren Schlaganfällen lebt Phettberg, der mit bürgerlichem Namen Josef Fenz heißt und sich selbst als “Elender” bezeichnet, zurückgezogen. Dafür wurde der “Extremneurotiker” in den letzten Jahren von mehreren jungen Bands entdeckt: Er wirkte zum Beispiel im Musikvideo “High Castle” der österreichischen Band Nancy Transit und in “Metropolis” der Hamburger Black Metal Band Fäulnis mit, die zum Drehen in seine Wohnung in Wien-Mariahilf kam. Auch von der Berliner Band Drangsal und von Dagobert und Band wurde er besucht. “Junge Bands scheinen mich zu mögen”, so sich Phettberg.

Phettberg, der im Alltag auf Hilfe angewiesen ist, wegen der Beeinträchtigung von Feinmotorik und Sprachvermögen, benötigt Unterstützung beim Schreiben. Dennoch erscheint im “Falter” nach wie vor “Phettbergs Predigtdienst”, bis vor kurzem schrieb er auch für die Straßenzeitung “Augustin” die “Fisimatenten”. Bis 2018 schrieb er auch täglich seine “Gestionsprotokolle”, eine Art Internettagebuch. Als jährlicher Fixpunkt galt lange Zeit auch sein Auftritt auf der Regenbogenparade am Wiener Ring.

Geboren wurde Hermes Phettberg am 5. Oktober 1952 in Hollabrunn. Der Sohn von Weinbauern arbeitete zunächst als Bankangestellter, bevor er nach einer theologischen Fortbildung Pastoralassistent in der Erzdiözese Wien wurde. Mitte der 80er-Jahre war er Mitbegründer des Vereins “Libertine Sadomasochismusinitiative Wien” und des Projekts “Polymorph Perverse Klinik Wien”. Öffentlich bekannt wurde er mit sadomasochistischen Kunstaktionen (wie seiner “Verfügungspermanenzen”) gemeinsam mit Walter Reichl im Rahmen von “ErotiKreativ” im WUK.

In der Theatergruppe “Sparverein Die Unz-Ertrennlichen” rund um Kurt Palm spielte er ab Anfang der 90er-Jahre verschiedene Rollen, seit 1992 schreibt Phettberg seine wöchentliche “Falter”-Kolumne. Eine Sammlung der “Falter”-Kolumnen erschien als Faksimile der Typoskripte unter dem Titel “Hundert Hennen. Katechesen 1992 – 2003”.

In seiner Talkshow “Phettbergs Nette Leit Show” begrüßte er ab Ende 1994 verschiedene Prominente, darunter etwa Marcel Prawy, Hermann Nitsch, Manfred Deix oder Josef Hader. Gemeinsam mit Kurt Palm gab er 1996 das Buch “Frucade oder Eierlikör” mit Interviews und Monologen aus der Show heraus. 2003 und 2004 strahlte ATV die Sendung “Beichtphater Phettberg” aus.

Phettberg erhielt 1993 den Franz-Grillparzer-Preis der “Anonymen Aktionisten” und 2002 den Preis der Stadt Wien für Publizistik. Der damalige Kulturstadtrat Andreas Mailath-Pokorny (SPÖ) nannte Phettberg damals einen “radikalen und subjektiven Beobachter des Wiener Alltagslebens”, mit seiner “Nette Leit Show” habe er Kulturgeschichte geschrieben. 2007 widmete ihm sein alter Freund und Entdecker Kurt Palm den Dokumentarfilm “Hermes Phettberg, Elender”, in dem die beiden das Leben der einstigen bunten Wiener Szenefigur im Zwiegespräch Revue passieren lassen.

Mit “Garten der Lüste”, einer öffentlichen Fesselungsaktion im Rahmen der “Wienwoche” sorgte er 2012 für Aufregung, im selben Jahr erschien im Sensationsverlag das Künstlerbuch “Alles Erschreckliche! Ausgewählte Texte”. Als im Sommer 2013 die mit dem Max-Ophüls-Preis 2012 ausgezeichnete Schwarz-Weiß-Doku “Der Papst ist kein Jeansboy” von Sobo Swobodnik über Phettbergs Alltag im Wiener Stadtkino an 28 Abenden gezeigt wurde, wohnte der Protagonist trotz Gehbehinderung jeder einzelnen Vorführung bei.

Aus den in diesem Zeitraum entstandenen Einträgen in sein “Gestionsprotokoll” machte Walter Fröhlich eine Graphic Novel: 2015 erschien “Blue Jeans. Der Phettberg-Comic” abseits des Buchmarktes, finanziert durch eine Crowdfundingaktion. Ebenfalls 2015 spielte Phettberg in dem Spielfilm “A Perception” des deutschen Regisseurs Daniel Pfander mit.

APA/ Red.

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