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Seitenwechsel

Der Politiker beneidet den Journalisten um die Freiheit, schreiben zu können, was er denkt. Der Journalist wünscht sich den Einfluss des Politikers.
© Pixabay

In Österreich hat das Wechselspiel zwischen Journalismus und Politik lange Tradition

Im Anfang war das Wort. Und ohne das Wort wurde nichts, was geworden ist, heißt es im Evangelium nach Johannes. Mit der Macht des Wortes wird die Welt verändert, denn kein Krieg beginnt mit den Waffen und kein Friede mit einer weißen Taube. Niemand weiß das besser als diejenigen, die mit Worten ihr Geld verdienen. Journalisten und Politiker unterliegen gleichermaßen den missionarischen Verführungen des Wortes. Ein paar grobschlächtige Worthappen auf Twitter genügen heutzutage, um Weltpolitik zu betreiben, und ein Leitartikel eines Journalisten kann noch immer Bewusstsein schaffen oder dieses verändern.
Kein Wunder also, dass Journalisten und Politiker gerne die Seiten wechseln, um sich im jeweils anderen Metier auszuprobieren. Gerade der Weg vom Journalisten zum Politiker scheint für so manch einen Schreiberling ein verführerisches Unterfangen, wenn dieser seine Zeit gekommen sieht, seine Worte mit Macht zu vergolden.
„Als Journalist schreibt man und schreibt und schreibt, und es passiert nix“, wird Franz Ferdinand Wolf, der seit einigen Jahren Kultursprecher der Wiener ÖVP ist, auf journalist.at
zitiert. Boris Johnson, mittlerweile Premierminister Großbritanniens, war als Europakorrespondent tätig, bevor er in die Politik ging. „Ich habe dreißig Jahre lang über dieses Thema geschrieben, jetzt habe ich die Chance, tatsächlich etwas zu bewegen“, erklärte der Premier den Medien die Motivation für seinen Seitenwechsel in die Politik. Sein spezielles Verhältnis zur (Un)-Wahrheit kostete Johnson drei Jobs als Journalist. So wurde er bei der renommierten Tageszeitung The Times entlassen, weil er ein Zitat des späteren Vizepräsidenten der Universität Oxford verfälscht hatte. Als Brüssel-Korrespondent für den Daily Telegraph erfand er zahlreiche Euromythen.
Dass mit dem Verbreiten von Unwahrheiten nicht unbedingt ein Vertrauensverlust in der Bevölkerung einhergehen muss, bewies Johnson eindrucksvoll bei der letzten Parlamentswahl. Für Johnson galt in seinem Beruf niemals der journalistische Ehrenkodex von Objektivität, Faktentreue oder Äquidistanz. Seine Haltung zu Themen wie Europa war voreingenommen und damit ganz und gar nicht objektiv. Ein Sachverhalt, der ihm als Politiker mehr zugute kam als in seiner journalistischen Tätigkeit. Sein Ruf eilte ihm voraus, und als Politiker konnte er seiner Haltung endlich Nachdruck verleihen.
So galt für Johnson die Gefahr nicht, in die sich Journalisten begeben, wenn sie sich mit einem Parteiticket für eine politische Sache einsetzen. „Man läuft Gefahr, dass man diese Eigenschaften auch in der beruflichen Vergangenheit hinterfragt“, erklärt Jasmin Bürger von der OÖN-Innenpolitik. „Damit kann man sich vor allem als Ex-Politik-Journalist sein Image zerstören“, erklärt die Journalistin die Gefahren, die sich die Überläufer aussetzen.

Von Zilk zu Stenzel

Auch in Österreich gab es schon viele Umsteiger vom Journalismus in die Politik. Wie andere Quereinsteiger haben sie sich in manchen Fällen bewährt, in anderen wiederum sind sie sang- und klanglos von der Polit-Bühne verschwunden.
Einer, der auf beiden Seiten der Medaille starke Duftmarken gesetzt hat, war zweifelsohne Helmut Zilk. Er schaffte es bis zum Fernsehdirektor des ORF, wobei ihm der erhoffte Sessel als Generalintendant im Machtkampf mit Gerd Bacher verwehrt blieb. Danach wechselte er zur Kronen Zeitung, bevor ihn der damalige Wiener Bürgermeister Leopold Gratz in die Politik lotste. Vom Stadtrat zum Unterrichtsminister und schließlich von 1984 bis 1994 Bürgermeister von Wien machte Zilk eine erstaunliche Politkarriere. „Der Doktor Zilk“ war in Wien in dieser Zeit allgegenwärtig. Von der Verbannung der Autos vom Rathausplatz über den Einbau von Filtern in Wiens Müllverbrennungsanlagen bis zum Film Festival auf dem Rathausplatz, den Adventzauber, das Mahnmal gegen Krieg und Faschismus am Judenplatz und den Silvesterpfad ist heute noch die Wirkung des charismatischen Mannes mit der tiefen Stimme in der Hauptstadt präsent.
Andere ORF-Kapazunder, die sich im Dickicht von Parteifreunden eine neue Karriere aufbauen wollten, hatten weniger Glück. Josef Broukal gehörte in den 1990er-Jahren gemeinsam mit Robert Hochner und Horst Friedrich Mayer zu den bekanntesten Moderatoren des ORF-Fernsehens. Bei der Nationalratswahl 2002 zog er für die SPÖ in den Nationalrat ein. Seine Ambitionen, Minister zu werden, konnte er jedoch aufgrund der gescheiterten Regierungsverhandlungen nicht verwirklichen. Broukal verankerte seine Tätigkeit – nach einem Machtkampf mit „Parteifreund Alfred Gusenbauer“ – in der Parlamentsfraktion der Partei, wo er zum stellvertretenden Klubobmann und SPÖ-Wissenschaftssprecher wurde und diese Ämter bis zum Ende seiner politischen Tätigkeit ausübte. Ein Sager blieb während einer Parlamentssitzung in Richtung der Regierungsparteien ÖVP und FPÖ in Erinnerung: „Es ist Ihnen unbenommen, dem Nationalsozialismus nachzutrauern“.

Von Christian Sec

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