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Nahversorgung im Zeitgeist

Corona hat die Ausbreitung des E-Commerce massiv beschleunigt. Zusperren muss der stationäre Handel aber nicht – das Erfolgsrezept liegt im Erledigen der digitalen Hausaufgaben.
© Adobe Stock

E-Commerce begeistert immer mehr Shopper

E-Commerce hat im letzten Jahr erneut an Bedeutung gewonnen. Die Wachstumsdynamik ist im Vergleich zu 2018 sogar noch gestiegen.“ Diese Analyse von Rainer Will, Geschäftsführer des heimischen Handelsverbands, dürfte kaum noch große Verblüffung auslösen. Der Höhenflug des Online-Shoppings ist nur mit Mühe zu übersehen, belegt die Studie jener Organisation, durchgeführt mit Branchenradar.com Marktanalyse. Das satte Plus von 13 Prozent bei privaten Ausgaben spricht eine klare Sprache. 

Damit ist die Digitalwirtschaft im Vorjahr erneut acht Mal so schnell gewachsen wie der stationäre Handel. Trotz solcher spektakulären Zahlen scheint sogar noch gehörig Luft nach oben vorhanden zu sein. Aktuell begünstigt durch die Krise, die den Planeten konstant in Atem hält. Eine Nebenwirkung der Pandemie ist die intensivierte Ausbreitung des Einkaufs von Waren im weltweiten Netz. „Corona befeuert den E-Commerce weiter“, erläutert Will.

Was nicht nur für bislang dominierende Segmente wie Bücher, Elektronik, Schuhe oder Tonträger gilt. Vielmehr beliefert der Kauf-Klick immer mehr Produkte mit Absatztreibstoff. Substanzielle Zuwächse hinsichtlich 2019 ortet die Studie bei Kategorien wie Wohnungseinrichtung, Drogeriebedarf, Sportartikel, Haus und Garten. Shopping im Wohnzimmer avanciert für zahlreiche Erzeugnisse zur Vertriebsoption, die Kunden und gutes Geld verspricht.

Generelle Beschleunigung

Für jenes Szenario wirkt Covid-19 auch als Beschleuniger. Damit scheint auf der kommerziellen Datenautobahn kein Tempolimit mehr zu existieren. „Generell wird Corona heuer den Online-Handel in sämtlichen Warengruppen anschieben. E-Commerce federt vielerorts Umsatzverluste im stationären Sektor ab. Darüber hinaus erleben wir zusätzlich einen Lockdown-Effekt. Heimische Internet-Händler gewinnen Marktanteile von der internationalen Konkurrenz zurück“, unterstreicht Andreas Kreutzer, Geschäftsführer von Branchenradar.com Marktanalysen.

Selbst solche Segmente, die bislang nur mit Mühe in die Gänge gekommen sind, nehmen Fahrt auf. Dazu gehört etwa der virtuelle Verkauf von Lebensmitteln, bis dato nicht unbedingt eine Erfolgsgeschichte der Cyber-Branche. Trotz hoher Investments konnte E-Food bisher die hohen Erwartungen nur ansatzweise erfüllen. Gehemmt durch ebenso teure wie komplexe Logistik, Hürden bei der Zustellung und zu geringem Interesse der Verbraucher. Der Wind beginnt sich jedoch zu drehen, belegt die Untersuchung des Handelsverbands. Das Plus von 19 Prozent im Vorjahr steht für stark gesteigerte Dynamik.

Während also smarte Dotcoms und technikaffine Couch Potatoes munter E-Business betreiben, wächst bei der Konkurrenz die Nervosität. Schließlich lässt sich der elektronische Distanzhandel kaum noch auf Distanz halten. Anfangs bestenfalls belächelt als spleenige Spielwiese für TU-Studenten und übermotiviertes IT-Personal, hat sich Online-Shopping über die Jahre zur seriösen Alternative gemausert. Ausgelöst durch steigende Professionalität, bessere technische Lösungen, attraktive Preise und die allgemeine Digitalisierung der Wirtschaft. Das Etikett „Randerscheinung ohne Rentabilität“ ist längst verblasst.

Zusätzlich hat Corona das tägliche Prozedere sichtlich verändert. Während des Shutdowns gab es für den Erwerb vieler Produkte keine Alternative zu Computer oder Smartphone. Selbst misstrauische Nutzer mussten quasi über Nacht unbekanntes Terrain betreten – oder auf bessere Zeiten warten. Allfällige subjektive Zweifel hinsichtlich Datenmissbrauch oder vermeintlich unsichere elektronische Kassen rückten damit in den Hintergrund. Letztlich hat sich das Bewusstsein vieler Konsumenten hier geändert – mit anhaltenden Folgen für das Kaufverhalten.

Mehr Netzkäufe

Dieses Phänomen kennt keine Grenzen, wie ein Blick in das Nachbarland untermauert. Deutschland hat sich in der Krise zur Online-Shopper-Nation entwickelt, signalisiert eine Studie im Auftrag von Payment-Spezialist Mastercard. Seit Beginn der Kontaktbeschränkungen haben über die Hälfte der Befragten mehr im Netz gekauft als je zuvor. 28 Prozent wiederum investieren mehr Geld für Services wie Streaming-Abos, Home-Fitness oder Online-Kurse als zu Jahresbeginn. Als beliebtestes digitales Erlebnis seit dem Lockdown fungiert der Videoanruf: 58 Prozent bleiben auf diese Art mit Familie, Freunden und Kollegen in Verbindung. 

Selbst wenn der große Boom in vielen Ländern nach den Lockerungen abgeflacht ist, bleibt ein fruchtbarer Boden für E-Commerce-Wachstum. Eine Beruhigungspille für Retailer ist nicht in Sicht: Laut dem schwedischen Technologieunternehmen Detail Online ist der Anteil jener User in Frankreich, Großbritannien und Deutschland, die zu 50 Prozent oder mehr ihrer Käufe virtuell tätigen, deutlich gestiegen. Weiters hat sich die Zahl der Kunden, die Waren zu mehr als die Hälfte elektronisch bestellen, seit dem Krisenausbruch um 25 bis 80 Prozent gesteigert. 

Zahlen der Unternehmensberatung Kearney bestätigen die virtuelle Aufbruchstimmung. „Der Handel ist in Bewegung geraten. Laut unserer Befragung wollen über 50 Prozent der Kunden, die jetzt verstärkt digital kaufen, das nach der Krise beibehalten. 52 Prozent möchten nach Beendigung der Maßnahmen auch mehr online shoppen als zuvor. 24 Prozent zeigen seit Corona zudem mehr Bereitschaft, Produkte im Internet zu erwerben, ohne sie offline gesehen zu haben“, erläutert Kearney-Experte Mirko Warschun.

Ein abruptes Ende des Aufschwungs liegt also in weiter Ferne: Sechs von zehn Nutzern wollen ihr Kaufverhalten nach der Pandemie beibehalten. Außerdem verbreitert sich die Zielgruppe. Während der Ausgangsbeschränkungen haben jene Personen den Online-Handel entdeckt, die landläufig als Techno-Verweigerer gelten. Sehr oft zu Unrecht, ältere Menschen werden meist nur unterschätzt, beweist die Gegenwart. Auch diese Klientel hat Waren verstärkt im Web geordert, sei es aus Interesse oder nur mangelnden Alternativen während des Lockdowns. In jedem Fall bleiben die Silver Surfer am Ball als kommende Zielgruppe für smarte E-Anbieter, sind sich Experten einig.

Von Christian Prenger

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