Skip to content

Bei meiner Ehr‘

So ein Chefredakteur hat‘s schwör. Ein Sittenbild aus der täglichen Arbeits-Praxis.
© MG MedienGruppe

In diesem Heft präsentieren wir Ihnen die Rankinglist der 108 wichtigsten Chefredakteure Österreichs. Im Vorfeld derartiger (selbst gestellter) Aufgaben diskutieren wir die Materie erst einmal hausintern ordentlich durch. Und da standen dann die Kategorien Kompetenz, Sympathie, Performance, Macht, Einfluss und Unabhängigkeit zur Diskussion. Mir erscheint es – in Zeiten wie diesen – nicht so wichtig, das Leistungsspektrum aufzusplitten. Deshalb haben wir diesmal nur gesamt mit einer einzigen Punktewertung von null bis zehn (zehn ist gleich Top) jurieren lassen. Denn – Hand aufs Herz – das handwerkliche Können, damit Geschick, Wortwitz und Kompetenz verbunden, durchschaut ja wohl nur einer, der den Bewerteten bei der täglichen Arbeit über die Schulter schauen kann… Und solch einen kriegen wir nicht so leicht in unsere Jury…

In meinem Fall bedeutet das, dass mir keine Fallfehler unterlaufen, bei der Mitvergangenheit strauchle ich bisweilen und in der Orthografie (ganz besonders in der Groß- und Kleinschreibung) bin ich völlig verloren, wenn ich unseren grenzgenialen Lektor Martin Krake nicht an meiner Seite wüsste…

Was naturgemäß niemandem auffällt (ich hätte „niemandem“ jetzt klein geschrieben, und das ist, wie Krake meint, auch richtig so, aber eigentlich bin ich mir in solchen Fällen nie sicher). Der Vorteil von emsigen Verlagsbienen wie Krake und Co. liegt darin, dass du die Lorbeeren erntest. Und die im Hintergrund keiner sieht. Und dann, wenn was schiefgeht, schiebst du den Dreckpfuhlerteufel auf das arme Lektorat. So hart ist das Leben…

Oder nehmen wir die Kategorie Sympathie. Mein alter Freund Lajos Ruff pflegte zu sagen: „Die einzig legitime Form der Bestechung ist die Sympathie.“ Darf einem der Chefredakteur sympathisch sein? Darf ein Chefredakteur jemandem sympathisch sein? Ist Sympathie laut Ruffs Worten nicht allemal der erste Schritt der Versuchung, in die Bestechlichkeit zu taumeln? In meinem neuen, demnächst erscheinenden Buch „Wie man unverschämt reich und berühmt wird“, das im Echomedia Buchverlag erscheinen wird, bekenne ich mich zur These, dass Journalisten rücksichtslos sein müssen. Was bei normalen Zeitgenossen ein durchaus unangenehmer Charakterzug ist – für die schreibende Zunft gilt, dass man, wenn man seine Arbeit ordentlich machen will, definitiv keine Rücksicht nehmen darf. Auf nichts. Auf niemanden. Rücksicht hat man nur auf eine einzige Sache zu nehmen: Auf das berechtigte Interesse der Leser, sachlich und fachlich richtige Informationen zu erhalten. Womit ich Rücksichtslosigkeit im Journalismus als wesentliches Merkmal von guter Arbeit einstufe.

Darüber hinausgehend darf sich der Chefredakteur niemals zum Richter aufspielen. Das Wichtigste in unserem Job ist, dass wir die beiden Buchstaben B und E zum Dogma unserer Arbeit erheben. Und uns niemals arrogieren, Richter zu spielen. Wir sind BErichter. Wir haben sachlich zu informieren. Der Leser kann sich dann selbst sein Bild machen.

In den letzten 46 Jahren, in denen ich in diesem Geschäft tätig bin, gab es hin und wieder Situationen, wo Mitarbeiter in der Redaktion  tendenziöse Geschichten geliefert haben. Sie kennen das: Das ist wie auf einer Terrasse, die völlig eben scheint, und doch senkt sich der Boden zur Vorderkante so, dass das Wasser nach einem Regen schnell abläuft.

Die Tendenz im Journalismus schleicht sich schier unsichtbar daher. Zwei, drei Schlüsselwörter, ein paar giftige Attribute, ein kleiner, harscher Nebensatz – und derjenige, über den berichtet wird, mutiert zum Unsym-pathler. Zum Asozialen. Als semantisch erfahrener Schreiber entlarvst du Geschichten dieser Unqualität schon nach dem Lesen der ersten Zeilen. Ich zeige mich in solchen Fällen geduldig. Wiewohl ich innerlich koche. Gebe dann dem betreffenden Mitarbeiter das entsprechende Oeuvre mit einem Lächeln zurück und sage: „Herr Kollege, irgendwie habe ich das Gefühl, dass Sie den, über den Sie hier schreiben, nicht mögen. Dass Sie dem gern eins auswischen wollen. Da das aber nicht besonders elegant ist, würde ich vorschlagen, dass Sie nun Information und Meinung voneinander trennen. Nehmen Sie all diese kleinen Beifügungen, Attribute und Nebensätze, die Ihrer Geschichte eine Tendenz geben, heraus. Ich gebe Ihnen eine halbe Seite Kommentar dazu. Und dann schreiben Sie, warum XY ein Arschloch ist. Und das begründen Sie mit Ihrem Gesicht und Ihrem guten Namen.“

Es dauert dann in der Praxis nie besonders lange, bis der entsprechende Mitarbeiter wieder – Blut schwitzend – in meinem Zimmer auftaucht. „Es tut mir leid“, stammelt er. „Das kriege ich nicht hin. Die Suppe ist nicht dick genug.“ Darauf ich: „Aber offensichtlich hat’s gereicht, dass Sie subkutan zwischen den Zeilen der ganzen Sache eine Tendenz gegeben haben.“ Schön, dass die meisten solche Dinge danach nicht mehr probieren…

Unsere Chefredakteure, unsere Medienverantwortlichen sind die vierte Macht hierzulande. Sie sind die Vielfalt. Sie sind die, von denen wir hoffen, dass sie unabhängig sind. Sie sollten stolz sein. Und selbstsicher. Sie sollten sich nicht anfüttern lassen. Sie sollten sich so etwas wie eine eigene Meinung leisten. Sie sollten keine Rücksicht auf Einflüsterungen, auf Druck, auf Packeleien, auf monetäre Zuwendungen und auf Haberer-Gehabe nehmen.

Also habe ich mir erlaubt, in unserer Coverstory den Leittext selber zu verfassen. Da ich ohne Übertreibung als wohl einer der längstdienenden Chefredakteure dieses Landes hunderte Journalisten ausgebildet habe, darunter mehrere Dutzend Schreiber, die heute selber Chefredakteure sind, glaube ich zu wissen, was Sache ist.

Dabei darf man auch nicht übersehen, dass der Arbeitsalltag eines Chefredakteurs gnadenlos ist. Fast alles, was an Medialem produziert wird, hört auf den Begriff „Zeit“. Ob Zeitung, Zeitschrift, ob Imprimatur, Abgabeschluss, Redaktionsschluss. Das gnadenlose Ticken der Uhren ist stetiger Begleiter unserer Tortur. Ein Redakteur hat’s da vergleichsweise einfach. Er schlägt ein Thema vor, bekommt seine Geschichte, recherchiert, macht Check, Gegencheck und – liefert ab. Nun aber ist die Zeit zwischen dem Liefern und dem Druck oder der Erscheinung immer zu knapp bemessen. Womit die Arbeit des Chefredakteurs zu einer fast übermenschlichen Aufgabe mutiert: Denn er muss in kürzester Zeit alle Fehler, die der Redakteur gemacht hat, ausbügeln und korrigieren.

Am Anfang steht die Vorbereitung der Redakteure. Sie durchforsten den Markt, lesen Medien, Presseberichte, studieren Konkurrenzzeitschriften, sondieren Fachartikel, googeln im Netz. Aus dem ergeben sich Vorschläge, die in der Redaktionskonferenz präsentiert werden. Im Mucha Verlag handhaben wir das so, dass jeder der Teilnehmer an der Konferenz eine Stimme hat. Als Herausgeber behalte ich mir ein Vetorecht vor. Das freilich nur in den allerseltensten Fällen eingesetzt wird.

Nun muss der Redakteur seine Reportage, die er bringen will, vorschlagen. Hat kurz Zeit, dies zu begründen. Danach wird abgestimmt. Jeder muss entweder seine Zustimmung oder seine Ablehnung signalisieren. Strom fließt. Oder nicht. Eine Stimmenthaltung gibt es nicht. Eine Story, die die Mehrheit der Stimmen für sich verbuchen kann, erscheint. Bei keiner Mehrheit: abgelehnt. Ohne weitere Diskussionen.

Danach haben die Mitarbeiter rund drei Wochen Zeit, das von ihnen Offerierte und Versprochene umzusetzen. Dabei gilt als Faustregel: Wenn 60 Prozent von dem, was in der Konferenz angekündigt wurde, dann in geschriebener Form auch hält, dann ist es eine gute Geschichte.

Und dann ist er da, der Redaktionsschluss. Der Chefredakteur sollte zu diesem Zeitpunkt alle Storys in Händen halten. Danach gibt’s im Magazingeschäft nur mehr ganz wenige Tage Zeit, Ausbesserungen, Korrekturen, Nachjustierungen durchzuführen. Im Tagesgeschäft geht es um Minuten.

Womit die Aufgabe des Chefredakteurs natürlich eine gewaltige wird. Denn sein Job ist es nun, all die Fehler, die der Journalist in drei Wochen harter Arbeit verbrochen hat, innerhalb weniger Stunden zu durchschauen, auszubessern oder zu korrigieren.

Wir bei uns im Haus halten es so, dass wir – weil wir unsere Redakteure respektieren und auf Augenhöhe sehen – dann, wenn inhaltlich etwas verändert wird oder wenn entscheidende stilistische Änderungen getroffen werden, dies mit dem Mitarbeiter abstimmen. Was auch nicht überall so gehandhabt werden soll.

Und – wenn Geschichten, die fertig sind, auf Wunsch des Chefredakteurs und des Herausgebers oder gar der kaufmännischen Direktion aus dem Blatt gestoßen werden, dann sprechen wir das auch mit dem Mitarbeiter rück. Man nennt das Respekt. Und man bekommt nur jene guten Leute, die es für guten Journalismus braucht, wenn man sie auch gut behandelt. Doch es soll da Zeitungen geben, wo der Herausgeber eine bereits fertig gesetzte Story über die Verfehlung von einem Manager – nur weil es den Chefitäten nicht passt – zähneknirschend in letzter Sekunde aus dem Medium kippt. Ohne Rücksprache. Per Weisung.

In Zeiten, wo Österreich nur mehr den 17. Platz im Ranking der journalistischen Freiheit einnimmt, umgeben von Staaten wie Uruguay und Surinam, sind dies durchaus gefährliche Alarmsignale. Da wird gepackelt, da wird geschoben, da wird angefüttert – und wenn dir wirtschaftlich das Wasser bis zum Hals steht, dann überlegt man als Verleger schon ganz genau, mit wem man sich in schwierigen Zeiten wahrhaftig anlegt. Und wen man besser außer Obligo lässt. Eine durchaus dramatische Entwicklung, deren Endpunkt wir uns in Ungarn oder Polen anschauen können.

Österreich gilt als Land der Titel. Viele Journalisten sind deshalb in den Beruf gerutscht, weil sie ihr Studium nicht fertiggebracht haben. Weil sie – so wie ich – noch in ihrer Ausbildungszeit Geld verdienen mussten, nicht genug wirtschaftlicher Rückhalt da war, die akademische Laufbahn abzuschließen, und sie in einer faszinierenden Tätigkeit, mit der sie sich ihre Lehrzeit finanziert haben, „hängen geblieben“ sind. Bei mir (und bei vielen Kollgen) war es zumindest so: Ich habe Publizistik, Jus und Volkswirtschaft studiert. In der Marktforschungsfirma, in der ich einer der drei Miteigentümer war, unterrichtete mein Co-Geschäftsführer an der Uni. Als mir das so auf den Wecker ging, Proseminare zu besuchen, wo der, mit dem ich die Budgets durchbesprach (und am Schluss die letzte Entscheidung traf), mich im Studium maßregelte, habe ich das Handtuch geworfen. Die Firma war auch damals schon zu groß, sodass für’s Studieren keine Zeit mehr blieb.

Am Ende dieses Spiels hat ein Titel gewunken: der des Chefredakteurs. Ich erinnere mich noch vergnüglich daran, wie ich von Hannes Androsch als „Herr Redakteur“ angesprochen wurde. Mit 22 widersprichst du einem ehemaligen Finanzminister, der jetzt CA-Vorstand ist, nicht so leicht. Also fiel es mir einigermaßen schwer, zu kontern, dass ich kein Redakteur sei. „Also Chefredakteur?“ frug er mich staunend ob meines jugendlichen Alters. Und ich erinnerte mich an den französischen Bankier, der bei den Interviews immer mit „Herr Generaldirektor“ angesprochen wurde. Und sich furchtbar darüber ärgerte. Irgendwann einmal reichte es. „Non, ich bin kein directeur“, pflegte er dann zu sagen. „Ich beschäftige Direktoren.“

Aber irgendwie hat sich das „Herr Herausgeber“ nicht durchgesetzt. In diesem Leben hat mich eigentlich nur ein Einziger, nämlich der verwichene Leo Wallner, seines Zeichens Casino-Generaldirektor, mit „Herr Herausgeber“ angesprochen. Denn der verstand was von seinem Handwerk und wie man es schafft, die einzige legitime Form der Bestechung, die Sympathie, in die Praxis umzusetzen…

Sohin habe ich mich dafür entschieden, den Titel „Chefredakteur“ mit Stolz und Würde zu tragen. Darauf hoffend, dass jene, die mich so ansprechen, auch ein wenig spüren, dass ich bereit bin, mich der Verantwortung zu unterziehen, die damit einhergeht.

Genau dafür haben wir dieses Ranking gemacht: Um jene, die zu den Herausragenden der Branche gehören, zu couragieren. Anzuspornen. Zu unterstützen. Den Bestplatzierten gratuliere ich dann immer ganz knapp vor Erscheinen. Persönlich. Weil ich mich darüber freue, anderen Menschen den Tag zu verschönern. Und bei einem dieser Anrufe frug mich der Beglückte: „Wie viele Chefredakteure gibt es eigentlich in Österreich?“ Auf meine schnelle Antwort: „Ca. 6500“ fiel der fast vom Hocker. Nun, die Zahl stimmt schon: Denn bei jedem Blättchen, von der Kleingärtner-Postille bis zum Badener Schulterblatt, vom Kinomagazin Steyr bis zur Nachtboten, das einen Redaktionsleiter aufweisen kann, steht der Titel Chefredakteur zur Disposition.

Wenn wir jene, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit erscheinen, ausklammern, bleiben rund 200, die man als relevant bezeichnen kann, über. Und von denen haben wir die wichtigsten ab Seite 84 bewertet.

Ganz bewusst wollten wir jene Herausgeber und Chefredakteure, die ihr Unternehmen – mit Anteilen bestückt – auch geschäftlich leiten, ausklammern. Die Dichands, die Fellners, die Cuturis, die Lengauers, die Bronners und die übrigen handelnden Eigner oder Herausgeber haben wir diesmal nicht bewertet. Denn die hatten ihren Auftritt schon beim „Kommunikator“.

Womit ich Sie noch auf eine weitere, ganz besondere Geschichte neben unserem Agenturranking hinweisen möchte: Jüngst stolperte ich über einen höchst interessanten Beitrag in Sachen Wikipedia. Eine ganze Reihe von Bekannten von meiner Frau Ekaterina hatte sich mit der ausgetauscht, dass es schier unglaublich sei, welcher Unbill sich „frau“ aussetzen muss, wenn sie einen Wikipedia-Eintrag anvisiert. Ich konnte es nicht glauben, als die Administratoren Ekaterina mit der Begründung „nicht qualifiziert“ einfach so ablehnten.

Unsere darauf folgenden Recherchen erwiesen sich als Stich in ein Wespennest.

Am meisten verzweifelt in dieser Causa scheint mir der Geschäftsführer von Wikipedia Österreich zu sein. Darüber, dass dort eine Riege mieselsüchtiger Machos ihr frauenfeindliches Verhalten unter dem Deckmantel der Anonymität als Administratoren austoben kann. Ungestraft. Ein einfaches Veto, garniert mit deftigen Sprüchen, reicht, und die betreffende Ansuchende und ihr Eintrag sind gesperrt. Basta.

Im Fall von Ekaterina schon erstaunlich, wenn da eine Person, die an die 16. Stelle der 350 bekanntesten Österreicher von 23 Society-Journalisten gewählt wurde, die als Chefredakteurin von Elite und Co-Chefredakteurin von mehreren anderen Zeitschriften seit über einem Jahrzehnt werkt, die jedes Monat mindestens 30 Druckseiten selber (und persönlich gezeichnet) verfasst und die medial bekannt ist, als „nicht relevant“ aus der Wikipedia-Gemeinschaft ausgestoßen wird. Einfach so. Weil sie eine Frau ist. Weil sie meine Ehefrau ist. Und weil sich manche Administratoren nicht erklären können, ob sie jetzt Chefredakteurin geworden ist, „weil sie mit mir verheiratet ist, oder…“ Ein erbärmliches Argument, das jedes Monat durch die erbrachte und gezeichnete Leistung ad absurdum geführt wird.

Der Geschäftsführer von Wikipedia Österreich bedauert das. Und sieht natürlich eine Relevanz von Ekaterina. Kann mir nur nicht helfen. Ach ja: Damit ich nicht vergesse, Ihnen zu erzählen: Der Geschäftsführer von Wikipedia ist eine Frau. Nämlich Claudia Garád.

Ich bin herzlichst Ihr

Christian W. Mucha

Herausgeber

Gefällt Ihnen der Beitrag?
Facebook
Twitter
LinkedIn
Telegram
WhatsApp
Email
Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner