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Journalistenmord prägt Slowakei auch nach fünf Jahren

Seine letzte Reportage handelt von Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu Regierungskreisen
©pexels

Als am 21. Februar 2018 im Dorf Velka Maca in der Slowakei ein junges Paar erschossen wird, ist nicht absehbar, dass die Bluttat den Ministerpräsidenten das Amt kosten wird. Und auch die langfristigen Folgen ahnt noch niemand: Der Doppelmord am Enthüllungsjournalisten Jan Kuciak und seiner Verlobten Martina Kusnirova macht nicht nur Schlagzeilen weit über die Grenzen der Slowakei hinaus. Er beschäftigt das EU-Land auch nach fünf Jahren noch – bis heute.

Kuciak hatte über Korruptionsverdacht in der Politik geschrieben. In seiner letzten Reportage, die erst nach seinem Tod veröffentlicht wurde, untersuchte er Verbindungen italienischer Mafia-Clans zu Regierungskreisen in seiner Heimat. Das nährte den später widerlegten Verdacht, Mafiosi und sogar die Regierung könnten hinter der Ermordung stecken. Der sozialdemokratische Regierungschef Robert Fico sowie führende Minister und Polizeifunktionäre mussten unter dem Druck von Massenprotesten zurücktreten.

Inzwischen wurde ein ehemaliger Soldat als Auftragsmörder zu 25 Jahren verurteilt. Zwei Mittäter bekamen 15 und 25 Jahre. Der als mutmaßlicher Drahtzieher angeklagte Millionär Marian Kocner und eine mutmaßliche Komplizin wurden in erster Instanz freigesprochen. Nach einer Entscheidung des Obersten Gerichts muss dasselbe Spezialgericht den Fall nun nochmals aufrollen. Beide sind inzwischen schon wegen anderer Verbrecher verurteilt. Zudem drohen ihn nun ebenfalls 25 Jahre Gefängnis.

Der Freispruch aus Mangel an Beweisen hatte Empörung ausgelöst. Einige Medien hatten jahrelang Informationen aus den Ermittlungen zugespielt bekommen, die ein vermeintlich klares Bild ergaben, dass keine Zweifel an Kocners Schuld bestünden. Eben diese Berichte könnten mitverantwortlich für die Entscheidung in erster Instanz gewesen sein, meint der Journalist und Schriftsteller Arpad Soltesz. Er ist Mitbegründer des Jan-Kuciak-Investigativzentrums in der Hauptstadt Bratislava. Dessen Ziel: die Recherchearbeit des ermordeten Kollegen fortzuführen.

Für die Richter sei es dadurch schwer geworden, Kocner zu verurteilen, ohne in Verdacht zu geraten, dies unter Druck der öffentlichen Meinung zu tun. “Solche Leaks zu verbreiten, das ist kein investigativer Journalismus”, kritisiert Soltesz. Andererseits habe der öffentliche Druck geholfen, Vertuschungsversuche zu verhindern.

Im Lauf der Ermittlungen wurde deutlich, dass es in dem EU- und Nato-Land weit verzweigte Korruptionsnetzwerke um Politiker, Juristen und Polizei gab. Kocner und Konsorten sollen systematisch vor allem Richter und Staatsanwälte bestochen haben. Der Millionär hatte für zwielichtige Firmen-Übernahmen, die ihn reich machten, schon Ende der 1990er-Jahre seine Kontakte zur jeweiligen Regierung genutzt – unabhängig von deren politischer Orientierung.

Die Empörung über den Doppelmord an Kuciak und Kusnirova nutzten aber auch populistische Politiker. “Aus dem Mord an Jan und Martina versuchen in der politischen Szene jetzt alle Kapital zu schlagen, ohne eine moralische Berechtigung”, klagt deren Weggefährte Soltesz. Als besonders empörendes Beispiel nennt er den Vorsitzenden der größten Regierungspartei Gewöhnliche Leute (Olano), Igor Matovic.

“Matovic kannte Jan überhaupt nicht”, sagt Soltesz. “Eine der abartigsten Formen der Inanspruchnahme ist es, wenn er ihn nun ausgerechnet gegen kritische Journalisten instrumentalisiert und denen sagt: Jan Kuciak würde sich für euch schämen!” Der Chef der konservativ-populistischen Regierungspartei hatte sich 2020 im Wahlkampf erfolgreich als Kämpfer gegen die Korruption der damaligen Regierung in Szene gesetzt. Inzwischen ist er deutlich weniger populär.

Jetzt sträubt sich Matovic gegen Neuwahlen mit dem Argument, dies brächte die “Mafia” an die Macht zurück. Damit zielt er auf die heutigen Oppositionsparteien. Die Antwort der ehemals regierenden Sozialdemokraten: Matovic und Ministerpräsident Eduard Heger nutzten Kuciaks Erbe, um unter dem Vorwand eines Kampfes gegen Korruption ihre politischen Gegner zu bekämpfen. Als wahrscheinlicher Termin für Neuwahlen in der Slowakei gilt nun der 30. September. Bis dahin könnte auch das Urteil über Kocner gefällt sein.

APA/Red.

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