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Mit Daten aufmunitioniert

Was bringt das vorsätzliche Manipulieren von Umfragedaten? Welchen Einfluss hat das auf Wahlen? Für den ExtraDienst kommentiert dies der Marktforschungsexperte Dr. Felix Josef, Geschäftsführer Triconsult.

Wahlurne
Pixabay

Haben veröffentlichte Daten Einfluss auf die Wahlentscheidung? Liest das überhaupt noch irgendwer? Zumindest die letzte Frage lässt sich beantworten: Ja. Denn sonst würden Medien rund um den Globus nicht mehr oder weniger gut bezahlte  Studien beauftragen. Oder zumindest nicht alle verfügbaren Daten mit Handkuss veröffentlichen.

Und dann gibt es die Daten, die nicht veröffentlich werden. Die machen was mit den Parteien, vor allem aber deren Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten. Den Kamm schwellen lassen, das Kreuz durchdrücken oder geknickt in der Ecke lehnen. Diese Daten zur Wahrnehmung durch den Souverän, der sein Kreuzerl machen darf, nimmt niemand ohne emotionale Konsequenzen hin. Als Beispiel dürfen die Kandidaten der Großparteien bei der letzten Bundespräsidenten-Wahl gelten.

Aber zurück zum Wähler. Was machen Daten der Wahlforschung mit dem Wähler und: Wird die Wahlentscheidung durch die publizierten Daten beeinflusst oder sogar verändert?

Jetzt wäre eine Fallstudie schön. Die Wahlen zum Gouverneur von Oklahoma 2017 haben den als aussichtslos gestarteten Kandidaten der Demokraten nach einer Serie von Wahlprognosen mit  laufend steigenden Anteilen für eben diesen Demokraten unerwartet in das Oklahoma State Capitol gespült. Der Nachteil ist, dass es diese Fallstudie nicht gibt, die Wahlen 2018 stattgefunden haben und der Gouverneur seit 2019 ein Republikaner ist. Und auch die Entwicklung der Wahlprognosen ist natürlich Fiktion.

Aber in der gesamten (demokratisch regierten) Welt wird diskutiert, ob Wahlprognosen, veröffentlichte empirische Daten, Einfluss haben. Vermutlich schon. In etlichen Ländern gibt es Verbote zur Veröffentlichung von Daten im Wahlkampf, kurz vor dem Wahltag oder zumindest am Wahltag. In Deutschland etwa gibt es eine solche Sperrfrist für den Wahltag. Und in einigen südeuropäischen Ländern sind 14 Tage vor der Wahl die Veröffentlichungen von Wahlprognosen verboten.

Das österreichische Parlament hat sich von 2000 bis 2002 in einer parlamentarischen Enquete-Kommission mit der Frage der Beeinflussung der Wählerinnen und Wähler durch die Wahlprognosen beschäftigt. Anders als in vielen Ländern wurden keine verbindlichen Regelungen erlassen. Vielmehr wurden die „ Medienvertreter ersucht, Statements zum Abschluss einer freiwilligen Selbstbeschränkung der Medien bei der Veröffentlichung von Meinungsumfragen vor Wahlen abzugeben, und zwar dahin gehend, dass nur Meinungsumfragen veröffentlicht werden, die den Kriterien von ESOMAR entsprechen.“ Die Veröffentlichung von Hochrechnungen auf Grundlage von Zählergebnissen am Wahltag vor Schließung der Wahllokale ist seit einem Urteil des VfGH nicht mehr möglich.

Was aber kann passieren, wenn die Institute ihre Hochrechnungen auf Grundlage von empirisch erhobenen Daten publizieren. Es ist vorstellbar, dass Unentschlossene (und davon gibt’s von Jahr zu Jahr mehr, manche sollen sich  erst in der Wahlzelle entscheiden, wo sie ihr Kreuzerl machen) dem Trend folgen. Wenn also die Analysen Zuwächse für einen Kandidaten, eine Partei prognostizieren, dann folgen diese Schäfchen dem Zug der Mehrheit. Das heißt daher auch Bandwagon. Die Wählerinnen und Wähler reihen sich hinter den (angekündigten) Siegern ein und fühlen sich dann auch dementsprechend besser.

Ein ähnliches Phänomen, allerdings aus einer anderen Perspektive begründet, ist die Wahlenthaltung bei AnhängerInnen einer als Loser klassifizierten Partei. Wenn die Prognosen ein Scheitern an der Eintrittsschwelle, Verluste oder künftige Bedeutungslosigkeit signalisieren, bleiben die Anhänger dieser Gruppierungen zuhause – weil’s eh schon Wurscht ist.

Knapp beisammen liegende Ergebnisse könnten faule Wählerinnen und Wähler dazu bringen, trotz Sauwetter auf die Straße zu gehen und der ideologisch am nächsten stehenden Gruppierung die Stimme zu geben. Hier ist es die Genugtuung, mit seinem Verhalten das Schlimmste verhindert zu haben.

Eine Sonderform der Entscheidung auf Basis veröffentlichter oder diskutierter Daten sind strategische Entscheidungen. Wenn ich mit meiner Stimme eine Regierungsbildung von XY verhindern kann, wähle ich Z, auch wenn ich die eigentlich nicht mag.

Wenn ein Wahlergebnis in den Prognosen als völlig sicher dargestellt wird, sich nur noch die Frage stellt, wie große der Vorsprung ausfällt, ist das für etliche Wahlberechtigte ein gutes Argument, sich die Mühsal der Wahl zu ersparen. Auch hier ist die subjektive Sinnlosigkeit das entscheidende Motiv.

Dass es diese Effekte gibt, ist in der wissenschaftlichen Diskussion weitgehend außer Streit. Wie stark das wirkt, ob es da um Prozente, Promille oder gar nur einige wenige Stimmen geht, ist strittig. Experimente sind diskussionswürdig und nachträgliche Analysen von konkreten Wahlen sehr situationsabhängig. Relativ klar ist der Einfluss von dramatisierten Entscheidungen auf die Wahlbeteiligung.

Und jetzt sind wir dort, wo es richtig spannend wird. Und wo die Forschung noch weniger weiß als bei den Auswirkungen der medialen Veröffentlichung. Wir sind bei den taktischen Maßnahmen der Parteien, der wahlwerbenden Gruppierungen.

Hinweise auf den drohenden Erfolg eines Kandidaten des äußeren (linken, rechten oder was auch immer) Lagers mobilisieren nicht nur die Wählerinnen und Wähler der entgegengesetzten Lager, das hilft auch den Wahlberechtigen der politischen Mitte ihre Entscheidung für einen eigentlich ungeliebten Kandidaten zu treffen.

Die Verkürzung der Wahlentscheidung auf ein Duell zwischen dem (eigenen) Guten und dem „bösen“ Gegner mobilisiert nicht nur die Wahlberechtigten, sie hilft vor allem dabei, die eigenen Leute in der Kampagne am Laufen zu halten. Vor allem Parteien mit einem hohen Organisationsgrad profitieren von solchen Maßnahmen.

Umgekehrt: Wenn ich als Wahlkampfmanager um die fragile Moral der Volontäre beim Gegner weiß, sind laufend platzierte Hinweise auf die überlegene Führung eben dieser Partei oft hilfreich, um das Animo, weiter von Türe zu Türe zu laufen, zu dämpfen.

Und besonders perfide wird es, wenn die Daten der Meinungsforscher genutzt werden, um die parteiinternen Gegner zu bekämpfen.  Hinweise auf die geringen Erfolgsaussichten des einen Kandidaten dienen dann dazu, einen Herausforderer zu positionieren. Insbesondere nach einer langen Führungsphase eines unstrittigen Regenten sind solche Diadochenkämpfe beliebt. Und auch in Zeiten des Umbruchs, der schwachen Regierenden, des Machtvakuums, sind die Zahlen der Umfragen ein effektives Werkzeug zur Positionierung eines neuen Messias.

Was die Medien mit den Daten machen und welche sie veröffentlichen (sollten), ist in den meisten Ländern durch Richtlinien (meist freiwillig) geregelt. Da es sich dabei vorwiegend um technische Aspekte der Durchführung der Datenerhebung handelt, ist das für die politisch Interessierten von überschaubarem Interesse. Die Durchsetzung dieser formalen Ansprüche ist in hitzigen Wahlkämpfen daher schon öfter gescheitert.

Was die Parteien und einzelne Akteure in den Parteien mit empirischen Daten machen sollten, unterliegt bestenfalls einem kategorischen Imperativ. Und Wahlkämpfe sind nicht nur Zeiten “ fokussierter Unintelligenz”, sie sind auch Brutstätte forcierter Unanständigkeit.

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