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Fehl-Leistungen

Leitartikel von ExtraDienst-Herausgeber Christian W. Mucha.
(c) Eckharter / MG Mediengruppe

Da hilft kein Jammern – jeder muss das Binkerl der eigenen Unzulänglichkeit tragen. Freilich – bei jenen, die avatarmäßig perfekt daherkommen, beschleichen uns Zweifel…

Haben Sie eine Schwäche? Quält sie ein Manko? Leiden Sie unter einer Fehlleistung, die Ihr geschäftliches Fortkommen erschwert? Bevor Sie jetzt vorschnell mit einem selbstsicheren „Nein“ antworten, denken Sie bitte nochmals nach. Und seien Sie verdammt nochmal ehrlich zu sich selber: Bekanntlich gilt ja der Spruch „Nobody is perfect“.

Da draußen gibt es Wesen, die wir bewundern. Weil sie uns so perfekt erscheinen. Weil sie auf einer ätherischen Wolke – losgelöst von der Erde und scheinbar völlig abgehoben – an uns vorüberschweben. In solchen Momenten flüstern wir uns selber zu: „Wahnsinn! Wie redegewandt, auftrittssicher und gesellschaftlich blendend aufgestellt ist der (oder die).“ Gleichzeitig erfasst uns bei solchen Ausnahmeerscheinungen aber auch (was mit dem uns zu eigenen argwöhnischen Zweifel zusammenhängen mag) eine gewisse Skepsis.

Nehmen wir die allseits bekannte, erfolgreiche und sympathische Society-Durchstarterin Silvia Schneider. Jüngst haben wir sie alle bei der ORF-Programmpräsentation wieder bewundern dürfen. Wenn sie mit ihrem atemberaubenden Glitzerkleid die Halle betritt, dann richten sich alle Augen auf sie. Sie ist witzig, redegewandt, schnell von Begriff und – ganz wichtig – die Kamera liebt sie. Journalisten und Fotografen werden hektisch, wenn Schneider anmutig wie die Traumfrau aus „Mars Attacks“ die Menschenflut mit ihrer Ausstrahlung teilt wie Moses das Rote Meer (passt beim ORF). So füllt sie mit ihrer Persönlichkeit förmlich den Raum bis zur Decke.

Und dann hat sie diese seltene Gabe, jedem genau so viel an Zuwendung zu widmen, wie derjenige verdient. Zielgerichtet bewegt sie sich elegant in Richtung des ORF-Generals (nicht nur die Hauptperson für sie an diesem Abend, sondern auch ihr neuer Brötchen-Geber), findet genau die verbindlichen, richtigen Worte, hakt sich im angebotenen Arm unter und bewegt sich filmdivenmäßig Richtung Werbewand.

Jenen, die ihr beim Schreiten über den imaginären roten Teppich, der sich automatisch vor jedem ihrer Schritte auszurollen scheint, begegnen, schenkt sie genau das an Zuwendung, was deren Status entspricht. Der Programmverantwortliche bekommt ein Küsschen. Der Budget-Entscheider beim Label, für das sie ihr Gesicht gegen gutes Geld vermarktet, wird umarmt. Der Society-Kolumnist bekommt ein Luftbussi, garniert mit Winken und einem Strahlelächeln Kategorie zwei. Der Chefredakteur des Medienhauses dasselbe mit einem Strahlelächeln der Kategorie eins plus. Und der untergeordnete Werbeleiter einer Modemarke darf sich an einem Schneiderschen Augenzwinkern erfreuen.

Und all das ist so ausgewogen, so stimmig, so perfekt, dass man sich fragt: Ist das angeboren? Und die Zweifel beginnen an einem zu nagen. Man stellt sich weitere Fragen: Hat die das trainiert? Überlegt sich die jede dieser Gesten, jede dieser Zuwendungen? Ist das Ranküne? Berechnung? Ein Geschäftsmodell?

Profis in unserem Geschäft ahnen: Nichts kann bei derartigen Karrieren, wenn sie so schnell und so steil nach oben verlaufen, als Zufall abgetan werden. Unsere Zweifel sind also berechtigt: Hier ist Vorsicht geboten. Und das sage ich ohne jeden Neid, denn immerhin darf ich mich bei Treffen mit Schneider ihrer Zuwendung der Kategorie zwei plus erfreuen (Hand wird gehoben, sie winkt mir zu, strahlendes Lächeln, ein kurzer Halbsatz – zwei gehen sich leider nicht aus, weil sich von links ein mächtiger Netzwerker heranpirscht, dem sie sich eilfertig zuwendet). Trotzdem – ich gehöre zum Zirkel der Auserkorenen. Ekaterinchen bekommt eine Umarmung und darf (das sind 27 Goldpunkte) gar am Tisch von Silvias Mama Platz nehmen.

Wir alle, die das, was Schneider schafft, nicht so perfekt hinkriegen, wir, die wir nicht so hart trainieren, die es nicht schaffen, selbst aus der Trennung vom Partner derart breit Kapital zu schlagen und auch daraus noch gefühlte neun Titelseiten-Bilder zu evaluieren, erstarren in andächtiger Bewunderung.

Doch die Perfektion ist ein Luder. Unser Misstrauen belegt jene, die solches vermögen (oder die es gelernt/trainiert/verinnerlicht haben), sehr schnell mit Begriffen, die eher ins Negative tendieren. Schon bald bewerten wir solche Medien-Talente mit dem Zug zur Perfektion als glatt, kalt und berechnend. Was im Falle Schneiders ungerecht wäre, weil Ekaterina mir immer wieder versichert, dass sie eine herzliche Person ist. Und dass dies eine der Haupttugenden von Silvia in allen Mediengassen ist.

Als ich vor vielen Jahren einmal das Vergnügen hatte, mit Michael Douglas in seinem Urlaubs-Domizil auf Zypern zu plaudern, verriet er mir eines der Geheimnisse seines Welterfolges. Ich werde seine damaligen Ausführungen nie vergessen. Er meinte wörtlich: „Man kann sehr weit nach oben kommen, wenn man die Talente, die einem in den Schoß gelegt sind, mit Fleiß und harter Arbeit nützt.“ Wobei Douglas ja mit Kirk einen Weltstar als Vater, mit Catherine Zeta-Jones einen Topstar als Frau hat. Was die Sache einigermaßen erleichtert. „Doch ganz hinauf in die Herzen der Menschen“, so erläuterte er, „kommst du nur, wenn du Kanten hast. Wenn du Ecken hast. Wenn nicht alles an dir perfekt ist. Weil die Menschen sich dann leichter mit dir identifizieren können. Wenn du Unbill in der Familie hast.“ (Hat Michael Douglas, wenn wir an die Probleme seines Sohnes denken oder an seine Ehe-Zores.)

Nur, wer menschlich ist (und menschlich zu sein beinhaltet Unzulänglichkeit, Schwäche, Probleme, Niederlagen, Misserfolg und Scheitern), den lieben die Fans vorbehaltlos. Weil sie den Spiegel der eigenen Probleme in ihrer sonst unerreichbaren Kultfigur wiedererkennen. Und erst das Manko hebt den Betreffenden dann schlussendlich ganz hinauf in den Olymp der ultimativen Zuneigung.

Ein Freund von mir, der ein brillanter Redner ist, völlig fehlerfrei artikuliert und fast übermenschlich formulieren kann, verriet mir einmal, dass er absichtlich alle paar Minuten einen kleinen Verhaspler oder Versprecher in seine TV- und Radioauftritte einbaut. Im Wissen, dass zu viel Perfektion nur allzu leicht kippen kann und unsympathisch macht.

Genug der Vorrede. Kommen wir zu meiner großen Schwäche: Ich habe das Manko eines schlechten Personen-Gedächtnisses. Gepaart mit meiner Kurzsichtigkeit, ist das in meinem Job ein echtes Problem. Jüngst, bei obgenannter ORF-Programmpräsentation, war es wieder soweit. 1700 Gäste sind dort. Gefühlte 1696 wissen, wer ich bin. Mein Problem: Ich erkenne die nicht. Da steht plötzlich jemand vor mir, ich schüttle dem freundlich die Hand, ich lächle – und habe keine Ahnung, wer das ist. Verzweifelt versuche ich, mit einer Reihe von eingeübten Sätzen das Gespräch in eine hilfreiche Richtung zu lenken, durch Antworten von ihm herauszufinden, wer das ist, der mich da gerade umarmt hat. Denn (meine guten Freunde wissen das) – in neun von zehn Fällen habe ich keine Ahnung, mit wem ich gerade spreche. Sätze wie „Was gibt es Neues?“, „Was war der letzte Coup?“ (nein, nicht „dein“ oder „Ihr letzter Coup“, weil ich doch keine Ahnung habe, ob ich mit dem jetzt per Sie oder per du bin).

Nein, ich bin nicht arrogant. Aber rechnen Sie einmal mit mir mit: Wir haben vier Zeitschriften. In jeder sollte ich die 1500 wichtigsten Personen des Feldes kennen. Macht 6000 Personen. Wer von Ihnen sich so viele Menschen merken kann, der werfe den ersten Stein. Mit jedem von denen habe ich garantiert schon mehrmals telefoniert, jeden dritten in den letzten 43 Jahren persönlich kennengelernt. Und dann gibt es da noch dieses vermaledeite Phänomen, dass jemand, der dich kennt, automatisch davon ausgeht, dass du natürlich auch ihn erkennst.

Von wegen.

Die Sache wurde im Laufe der Jahre – verstärkt durch die ersten Alzheimerschen Grüße – mit fortschreitendem Alter immer schlimmer. Vor zehn Jahren fasste ich dann den Entschluss, mich zu meiner Schwäche offen zu bekennen. Schrieb einen ähnlichen Leitartikel wie diesen und bat all jene, auf die ich in meinem Lebensalltag treffe, mich mit den Worten „Ich bin’s, der Sowieso“ zu begrüßen. Das erspart Ärger, Frust und verhindert, dass der, den du nachweislich nicht erkennst, dir für alle Zeiten die Freundschaft kündigt. Und so nebenbei nie wieder Geschäfte mit dir macht.

* * *

Wie etwa Dieter Klein, der bekannte und umtriebige Filmemacher, mit dem ich gerade mehrere Projekte entwickle. Nur halt alles am Telefon. Mehrmals bin ich schon auf ihn getroffen. Habe ihn freundlich begrüßt. Ohne freilich die geringste Ahnung zu haben, wer mir da gegenübersteht. Jüngst hat er mir ein böses SMS geschrieben. „Das geht gar nicht. Lächeln, Hand schütteln und in Wirklichkeit keine Ahnung haben, wer da vor Ihnen steht, wenn der noch dazu zwei Werbepreise an diesem Abend einheimst…“ Lieber Dieter Klein: Sie sind nicht allein. Als ich vor zehn Jahren beschloss, die ultimative Handlung zur Bereinigung meines Problems zu setzen, widerfuhr mir extrem Grausliches. Mit meiner Bitte, mich mit den Worten zu begrüßen „Ich bin’s, der Sowieso. Hallo, lieber Herr Mucha, erinnern Sie sich an mich?“, hatte ich gehofft, peinliche Situationen für alle Zeiten in den Griff bekommen zu haben. Doch das klappte in der Praxis leider nicht.

Nehmen Sie etwa mein zweites Zuhause, das Imperial-Café. Dort mache ich mir mit einem Geschäftsfreund einen Termin aus. Zum Frühstück im Saal sitzen ungefähr 25 Personen an den Tischen. Ich komme zwei Minuten zu spät. Blöd. Weil der schon da ist. Ich husche also von Tisch zu Tisch und renne dreimal an dem Betreffenden vorbei, der mich blöd grinsend anschaut. Und natürlich nix sagt. Ich frage irgendwelche amerikanischen Urlauber nach ihren Namen. Schließlich erbarmt sich der Oberkellner meiner und bringt mich zum richtigen Tisch. Was glauben Sie, warum ich jedes Mal, wenn ich einen Frühstückstermin habe, schon 15 Minuten vor meinem Gast da sitze. Dann muss der nämlich zu meinem Tisch kommen. Und ich bin gerettet.

Aber die Branche scheint sich daran gewöhnt zu haben: Die Menschen gehen auf mich zu, ich sage, es tut mir leid, aber ich weiß nicht, wer Sie sind (mein letztes Mittel, um mich zu retten). Dann sagt der Betreffende seinen Namen, und allgemeine Erleichterung tritt ein.

Vor zehn Jahren also traf ich auf der Kärntner Straße diese kleine, elegante Dame, die mich umarmte. Ich trat einen Schritt zurück, verbeugte mich und sprach die eingeübten Worte: „Verzeihen Sie mir, ich weiß nicht, wer Sie sind. Sie kennen doch meine Schwäche.“

Es war ein bitterer Tag. An dem hat mich die reiche Tante Resi aus dem Testament gestrichen.

Wenn Sie also nun wissen, dass ich nicht einmal meine Erbtante erkannte – dann vergeben Sie mir, ich handle nicht aus böser Absicht. Und schreiben Sie mir, liebe Leser, wie Sie dieses Problem lösen. Ob Sie in der Lage wären, in diesen vier Branchen 6000 Menschen wieder zu erkennen. Und alle Namen zu behalten. Und – toll wäre es auch, wenn Sie mir Ihr persönliches Manko verraten würden. Vielleicht hören Sie ja schlecht. Oder Sie haben ein mieses Zahlengedächtnis. Oder Sie sind Legastheniker oder bekommen Stotteranfälle, wenn die Beine Ihres weiblichen Gegenübers länger als 1,20 Meter sind.

Denn dann kann ich Ihnen stolz erwidern: In diesen vier Punkten bin ich perfekt.

Herzlichst Ihr

Christian W. Mucha

Herausgeber

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