Skip to content

Die Chuzpe als Stilmittel

Wer sich mit gewissen Typen einlässt, ist selber schuld.
© Rainer Gregor Eckharter

Er war das Gegenteil des Behinderten-Ausweises. Wertvoll wie die Mitgliedschaft bei einem Gentlemen’s Club in der Oxford Street. Er war der glänzende, 8×4 cm große Beweis, dass man – über Nacht – in der „Liga der Wichtigen“ angekommen war. Und – er war der Türöffner für allerlei Vergünstigungen. Gepaart mit seinem Bruder, der schon von Weitem signalisierte, dass da jemand Bedeutender daherkommt. Er war das am heißesten ersehnte Utensil meiner Berufsanfänge: Die Rede ist vom begehrten Presseausweis, der von der sogenannten Wagenkarte begleitet wurde, die – hinter der Windschutzscheibe des Autos angebracht – einem Eintritt, Zutritt, Zufahrt zur Vereinigung der österreichischen Wichtigmacher garantierte. Es war echt schwer, einen zu kriegen. Wenn man nicht angestellter Redakteur eines Verlages war oder den Chefredakteur oder Herausgeber eines anerkannten Mediums dazu brachte, eine schriftliche Bestätigung herauszurücken, dass man für die regelmäßig tätig war, dann rückte der Erhalt dieses Selbstaufwertungs-Dokumentes schnell in weite Ferne.

Der Besitz des Presseausweises garantierte ungezählte Lebensverbesserungen. Wer die Wagenkarte besaß, der brauchte auf dem Gelände der Wiener Messen sich nicht mehr um Parkplätze zu prügeln. Mit der Wagenkarte ging der Balken zum reservierten „Presse-Parkplatz“ wie von selbst hoch. Er verschaffte einem Zutritt, Zufahrt zu jeder Pressekonferenz. Die seinerzeit deshalb so beliebt waren, weil sie meist mit einem kalten Buffet, gelegentlich sogar mit warmem Essen (natürlich gratis) verbunden waren. Bei den ÖBB bekam man die Bahnkarten zum halben Preis. Es genügte, dieses „halbamtliche“ Dokument vorzuweisen. Und wer so clever war und sich bei einer Miele-Pressekonferenz einschlich oder bei Siemens oder bei Grundig, der konnte mit ein bisschen Glück einen kleinen Staubsauger, einen Fön oder einen der begehrten Kassetten-Rekorder einheimsen. Das sogenannte Pressegeschenk, das damals noch verbreiteter Usus war und von großen Paketstapeln am Schluss der Pressekonferenz an die teilnehmenden Journalisten verteilt wurde.

Ja, das waren Zeiten, als das Wörtchen „Compliance“ noch nicht erfunden war, das Internet nicht an der Macht der schreibenden Zunft nagte und ein „Herr Redakteur“ noch etwas zählte. Jeder wollte so einen Presse-Ausweis. Alle zahlten dafür. Und wer ihn nicht kriegte, der fälschte ihn einfach. Und da alle, vom kleinsten Setzer über den Redaktionsboten bis zum unbedarften Anzeigenkeiler, sich um diesen Fetzen Papier rissen (fälschungssicher verklebt in Plastik, alljährlich mit einem vom Zeitungsherausgeberverband ausgegebenen Jahres-Kleber zu aktualisieren), war es nur eine Frage der Zeit, bis – die Marktnische der Begehrlichkeit nutzend – diverse private Journalistenclubs entstanden und begannen, am Glamour der Vierten Macht mitzunaschen. Und aus dem Verscherbeln von begehrten Fantasie-Ausweisen ein einträgliches Vereins-Geschäft machten.

Die entwickelten sich im Lauf der Zeit zu Sammelstellen von sogenannten „Pseudo-Journalisten“, deren Heimstätte scherzhaft als „Badener Schulterblatt“ bezeichnet wurde. Diese Schnorrer hatten noch niemals in ihrem Leben eine Zeile geschrieben und wollten einfach nur so in der Liga der außergewöhnlichen Ladies and Gentlemen der glamourösen Medienwelt mitschwimmen. Jene, die so wie ich fleißig schrieben und emsig publizierten, betrachteten die als Negeranten und Mitfresser. Zu den daraus Profit schlagenden Journalistenclubs ging unser ExtraDienst stets vorsichtig auf Distanz, brachte aber immer wieder den einen oder anderen Bericht. Über deren Aktivitäten, Veranstaltungen oder Versuche, sich im Mediengeschäft zu etablieren, etwa durch die Vergabe von Preisen.

Einer der Felsen in den rauen Gewässern der brandenden Selbstdarstellung war seit vielen Jahren der Österreichische Journalisten Club (ÖJC). Dessen Proponenten, die Turnheims, machten vor allem mit der Vergabe des Prof. Claus Gatterer-Journalistenpreises von sich reden. Fred Turnheim, „Präsident“ dieser Organisation, vergab im heurigen Jahr die Ehrung an den Tiroler Blogger Markus Wilhelm. Turnheim kontaktierte seinen Preisträger, gratulierte dem Tiroler Blogger (www.dietiwag.org) zur Auszeichung, stellte Sponsoren auf (das Land Burgenland und die Esterhazy Betriebe GmbH), fand eine Location für die Preisübergabe (Schloss Esterhazy in Eisenstadt) und bereitete die Preis-Feierlichkeiten vor. Soweit so unspektakulär. Doch mit dem streitbaren Blogger hatten sich die vom  Schreiberverein den Falschen ausgesucht. Hatte Wilhelm Turnheim ursprünglich für die Auszeichung gedankt (und dies auch über sein Netzwerk kommuniziert), machte er danach eine erstaunliche 180-Grad-Kehrtwendung.

Was in dem Mann vorgegangen ist, lässt sich nur schwer nachvollziehen. Aber ich stelle mir das so vor: Da erhält jemand einen Preis, dotiert mit 10.000 Euro, und freut sich im ersten Moment darüber. Dann beginnt er nachzudenken. Und zu kalkulieren. Und schnell geht ihm ein Licht auf, dass die Annahme des Preises ihm weit weniger Aufmerksamkeit einbringen würde als eine spektakuläre Zurückweisung der Ehrung. Also: Kehrtwendung nach dem Motto: „Niemand kann mich daran hindern, über Nacht mit kalter Berechnung cleverer zu werden.“ Die Details der Begründung von Wilhelms Affront erspare ich dem geneigten Leser. Dass freilich der Geehrte, der den Preis mit deftigen Worten öffentlich zurückwies, den ÖJC-Proponenten danach noch schriftlich mitteilte, an wen das für ihn auszuzahlende Preisgeld abzuführen sei, erinnert mich an die Definition meines Großvaters, was man unter einer Chuzpe versteht. Der alte Mucha formulierte das in seiner direkten und ungeschönten Art so: „Eine Chuzpe ist, wenn man dem Hausmeister vor die Tür scheißt, anläutet und um Klopapier fragt.“

Nun mag man von Herrn Turnheim halten, was auch immer man will. Über die Gebarung seines Vereines weiß ich nicht Bescheid, und ob und wie sehr sich das Ehepaar Turnheim dort in welcher Dimension persönlich finanzierte/bediente. Aber es gibt Dinge im Leben, die macht man einfach nicht. Die sind gegen jeden Anstand. Die sind einfach eine Sauerei. Und ich weiß genau, worüber ich hier schreibe, weil auch unserem Verlag so etwas schon einmal widerfahren ist. Das Ganze ist schon eine Weile her. Hat sich jedoch für immer in mein Gedächtnis eingeprägt: Nachdem wir seinerzeit bei einer gekürten Preisträgerin sorgfältig angefragt hatten, ob sie die Ehrung annehmen wolle, bedankte sich dieselbe allerherzlichst. Es sei ihr eine große Ehre. Nachdem wir gemeinsam mit ihr gespeist hatten, alle Eckdaten für die Vergabe, Location und Organisation besprochen hatten, ging es an die Vorbereitungen. Mit unserem Event-Team buchten wir die Location, akquirierten die Sponsoren, engagierten Künstler, bestellten das Catering und bereiteten aufwendig die Einladungen vor. Und plötzlich: der Schock-Moment. Die Preisträgerin teilte uns mit einem kargen Mail mit, dass sie es sich anders überlegt hätte und den Preis doch nicht annehmen wolle. Mit einer dürren, fadenscheinigen Ausrede machte sie all unsere Vorarbeit zunichte. Einfach so.

Ich weiß also aus persönlicher Erfahrung, wie sich Turnheim gefühlt haben muss. In solchen Momenten bist du hilflos, sprachlos, dir bleibt einfach die Spucke weg. Und wenn du realisiert hast, welchen vergifteten Span du dir mit deiner Wahl eingetreten hast, ist es schon längst zu spät. Nicht, dass Sie mich jetzt missverstehen: Ich habe kein Mitleid mit Journalistenvereinen (siehe oben). Mein Mitgefühl gehört nach wie vor den Kindern der Dritten Welt. Aber ich bin – rückblickend betrachtet – heilfroh, dass unser seinerzeitiger Flop ohne Folgen blieb. Wilhelm setzte am Schluss des Ganzen noch einen drauf, recherchierte die Finanzierung des ÖJC und machte sich breit mit einem Appell „Rettet den Claus Gatterer-Preis“ noch einmal medial wichtig. Und kotzte als weitere Danksagung an die Vergeber noch den Kommentar heraus, dass es „eine Ironie der Geschichte ist, dass kritische Journalisten, die in die dunkelsten Ecken des Landes hineinleuchteten, sich ausgerechnet die Gebarung des Journalistenclubs noch nie angeschaut haben…“

Weshalb wir – mit einigermaßen gemischten Gefühlen – auch 2019 (die entsprechende Reportage lesen Sie ab Seite 84) uns wieder einmal die Ehre geben, Österreichs beste Journalisten in 17 Kategorien zu präsentieren. 190 Nominierte, zigtausende Voter in der Vorrunde im Internet und schlussendlich eine 24-köpfige Profijury, die aus den Top-Dreien die Sieger kürten, machen unsere Wahl unantastbar. Denn da läuft alles transparent und nachvollziehbar ab. Nicht so wie bei einem Konkurrenzblattl, das die alljährlichen Sieger in arroganter Selbstüberschätzung eigenmächtig aus dem Hut zieht…

Und dennoch – Menschen auszuzeichnen, ist immer mit einer gewissen Gefahr verbunden. Speziell in Zeiten, in denen die Überreichung von Siegeslorbeer ganz schnell zur Wut-Aktion denaturieren kann und plötzlich die Hand, die streichelnd Leistungen in der Branche würdigen will, von einem geehrten Wut-Publizisten gebissen wird. In Fall des Journalistenclubs gab’s einen neuen Preisträger: das Team der Fußballzeitschrift Ballesterer. Übrigens ein wunderbares Medium, das sich diese Auszeichnung redlich verdient hat. Ach ja, und damit ich nicht vergesse, zu ergänzen: Im Fall Turnheim hat der Hausmeister das Klopapier nicht herausgerückt. Natürlich gab es keine Zuwendung für Herrn Wilhelm oder jene, denen er den dotierten Betrag zuschanzen wollte. Was ich nur gut und gerecht finde. Ansonsten mag sich jeder sein Bild von derartigem Vorgehen machen. Und wir sind gewärtig, dass Wilhelm als Nächstes seine Wut an uns auslässt.

Und da man solchen Typen so etwas immer zutrauen muss, hüten sich die meisten Branchen-Kollegen, die so wie ich denken, ihre Meinung öffentlich kundzutun. Einfach aus Angst, dann selber angepatzt zu werden. Was einen 65-Jährigen wie mich freilich nicht daran hindern kann, seine ehrliche Meinung zu äußern und dazu zu stehen.

Ansonsten mag sich jeder sein Bild von dieser Geschichte machen.

*  *  *

Ein Bild macht sich auch die Branche davon, dass Markus Breitenecker in wenigen Monaten Puls 24 aus dem Boden gestampft hat. Ein interessanter Ansatz, der zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen sollte: Zum einen dem missliebigen Wolfgang Fellner eins drüberzuziehen (die beiden gelten als beste Feinde in der Branche). Und zum anderen ein wohlfeiles Pilot-Projekt als Vorbereitung für einen Nachrichtensender beim Mutterkonzern auf den Markt zu bringen.

Da sich der umtriebige Pro7Sat.1Puls4-Macher Breitenecker einer ganzen Reihe mächtiger Feinde in der Branche erfreuen darf, kam ExtraDienst in den Genuss einer Wortspende von ORF-General Dr. Alexander Wrabetz zur Auseinandersetzung zwischen Puls 24 und oe24. Der meint: „Na gut…wenn der liebe Markus Breitenecker jetzt einen ganzen Sender aufbaut und aufmacht, nur um das kleine Pflänzchen von oe24.TV niederzufahren – weil der neue Sender von Breitenecker richtet sich ja nicht gegen uns und den ORF – dann würde ich mir auch Maßnahmen überlegen. Wobei, naja, das sollen sich die Konkurrenten direkt untereinander ausmachen.“

Der Gfrett zwischen Breitenecker und Wrabetz (die können einander auch nicht leiden) reicht schon lange zurück. Niemals verziehen hat der ORF-General seinem privaten Konkurrenten, dass sich der vor Jahr und Tag bei einer ORF-Programmpräsentation so im Eingangsbereich platzierte, dass alle Kunden, die dem ORF ihr Werbegeld geben, gleich nach dem Eingang auch an Breitenecker vorbeimussten. Der machte den Grüßaugust und funktionierte die Veranstaltung seines Mitbewerbers für den eigenen Werbeauftritt um. Die ORF- und Enterprise-Gewaltigen schäumten darob seinerzeit gewaltig. Und gestalteten den gesamten Eingangsbereich im Jahr darauf so um, dass Mitbewerber sich nicht mehr prominent im Empfangsbereich aufpflanzen und die Honneurs machen konnten.

Das Match zwischen Breitenecker und Fellner spielt sich mittlerweile auf mehreren Ebenen ab. Mit der Begründung, dass er bei der Presseschau von Puls4 nicht vorkomme, kippte Wolfgang Fellner das Puls4-Programm aus den TV-Seiten seiner Tageszeitung Österreich. Garniert mit intensiver Berichterstattung darüber, dass ServusTV Puls 4 im August erstmals als führender Privatsender überholt hatte. Und meinte gegenüber ExtraDienst grinsend: „Da ServusTV Puls 4 überholt hat, steht an der Stelle, wo früher deren Programmplatz war, nun ServusTV.“ Auch eine Methode, eine Auseinandersetzung auszutragen.

Und weil Puls 24 ihm noch Clivia Treidl abspenstig machte, gibt’s auch auf einer weiteren Ebene Brösel: Denn die heimste eine Konkurrenz-Klage ein. Was harmlos erscheint, hat durchaus spektakulären Hintergrund, wenn man weiß, dass sie die Lebensgefährtin von niemandem Geringeren als Ex-Medienminister Gernot Blümel ist. Der war eine Schlüsselfigur, wenn’s um Zuschüsse im Mediengeschäft ging. Und wird’s – wenn die ÖVP wieder in der Regierung ist – wohl wieder künftig sein. Sohin ein einigermaßen harter Schachzug von Fellner…

Aber mit Schachzügen in der Branche kennen sich die Insider ja aus. Schon vor Monaten verriet mir René Benko bei einem persönlichen Besuch in seinem Palais, dass er keine Auseinandersetzung mit den Dichands suche. Benko hatte damals Addendum geklagt, ein Medium aus Didi Mateschitzs Gruppe. Ein gut informierter Freund hatte mir verraten, dass sich die beiden Milliardäre abgesprochen hatten. Und dass die Klage gegen Addendum angeblich ausdrücklich mit Mateschitz abgestimmt worden sei, der nichts dagegen hatte.

Sei’s drum – was zählt ist, wo’s künftig mit der Kronen Zeitung hingeht. Dieser Tage steht eine Einigung in Sachen Kleinformat ins Haus. Ohne zu viel von mir vertraulich gegebenen Informationen verraten zu wollen, gehe ich davon aus, dass sich die schon arrangieren werden: Christoph Dichand wird wohl für den Preis eines möglichst dauerhaften Friedens seine Begehrlichkeiten in Sachen Vorabgewinne zurückschrauben, Gerichtssteitereien werden eine Ende haben und mit zwei Austro-Eigentümern könnte die Kronen Zeitung wieder in ruhiges Fahrwasser zurückkehren. Und der stürmischen See, die der unliebsame Partner Funke Gruppe (Ex-WAZ) denen bescherte, entkommen sein.

Erzählen darf ich jedenfalls, dass Benko eine große Fantasie im Reichweiten-Potenzial der Kronen Zeitung, aber vor allem in deren Online-Bereich sieht. Deshalb hat er sich dort so stark engagiert. Nur wenige wissen, dass der Immobilien-Tycoon eine ganze Reihe von internationalen Online-Plattformen aufgekauft hat (unter anderem im Sport und beim Laufen). Und seine Zukunft sehr stark in Online-Shops sieht. Ein Feld, das übrigens auch Wolfgang Fellner derzeit in einer finalen Phase aufstellt. Seine Online-Shopping-Plattform dürfte demnächst auf den Markt kommen. Ein weiterer Schritt des 360-Grad-Angebots, das mit dem Start des österreichweiten oe24-Radios und den beiden Old Boys in der Morgenshow, Wolfgang Fellner und Rudi Klausnitzer, abgerundet wird.

Sohin wünsche ich Ihnen viel Spaß mit einem spannenden, über 300 Seiten starken September-Rekord-Heft und blicke mit journalistischer Vorfreude auf die Zeit nach der Wahl, wo wir versuchen werden, Ihnen Antworten auf alle daraus resultierenden medienmäßigen Fragen zu geben.

Herzlichst Ihr

Christian W. Mucha

Herausgeber

Gefällt Ihnen der Beitrag?
Facebook
Twitter
LinkedIn
Telegram
WhatsApp
Email
Cookie-Einwilligung mit Real Cookie Banner