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Desinformation im Wahlkampf in Brasilien griff von online auf TV über

"Wenn's im Fernsehen läuft, stimmt's"
© Unsplash

Die Präsidentschaftswahlkampf in Brasilien ist gezeichnet von Populismus und Desinformationen in den Online-Netzwerken. Die Situation spitzt sich allerdings zu, denn die Falschinformationen haben sich inzwischen auch stark ins Fernsehen ausgebreitet, was ihre Wirkung potenziell vergrößert. Seit dem Start des Wahlkampf im August sind die Präsidentschaftskandidaten allgegenwärtig in Interviews zur Hauptsendezeit, bei TV-Debatte und in Werbespots zu sehen. Dies hat zur Folge, dass eine Flut falscher Darstellungen in die brasilianischen Wohnzimmer ausgestrahlt wird.

Pipi Langstrumpf – Phänomen

Der rechtsradikale Präsident Jair Bolsonaro behauptet etwa, er habe Pix erfunden, ein populäres Smartphone-Sofortzahlsystem. Bolsonaro ist dafür bekannt, schon seit seiner Stellungnahmen zur Corona-Pandemie sehr frei mit der Wahrheit umzugehen. Der linke Gegenkandidat Luiz Inácio Lula da Silva bekleckert sich auch nicht mit Ruhm. Dieser lässt es nämlich so aussehen, als sei er von allen Korruptionsvorwürfen freigesprochen worden. In Wirklichkeit hatte die brasilianische Zentralbank schon 2018 mit der Arbeit an Pix begonnen – ein Jahr vor dem Amtsantritt Bolsonaros. Und auch Lula, der bereits von 2003 bis 2010 Staatschef war und in den Umfragen zur Wahl am 2. Oktober deutlich vorne liegt, wurde nicht von allen Korruptionsvorwürfen freigesprochen: Seine umstrittene Verurteilung wegen Verwicklung in den Korruptionsskandal “Lava Jato” (Autowäsche) wurde wegen Verfahrensfehlern aufgehoben. Die Kandidaten machen sich also die Welt, wie sie ihnen gefällt.

Lügen haben kurze Beine, aber große Reichweite

Die Experten weisen darauf hin, dass das Fernsehen der Desinformation mehr Reichweite verleiht. “Das Fernsehen ist immer noch ein Massenmedium” in Brasilien, sagt Arthur Ituassu, Professor für politische Kommunikation an der Päpstlichen Katholischen Universität in Rio de Janeiro. Denn im Gegensatz zu Online-Netzwerken erreichen TV-Kanäle alle soziale Schichten und Gruppierungen, so Ituassu. “Das Fernsehen ist immer noch ein Medium, das die breite Masse erreicht und weit über das Publikum hinausgeht, das bereits fest in dem einen oder anderen Lager verankert ist”, erläutert auch Helena Martins, Kommunikationswissenschaftlerin an der Föderalen Universität von Ceará. Viele Leute glaubten, “wenn’s im Fernsehen läuft, stimmt’s”, sagt sie.

Sociale Medien als Brutstelle für Falschinformationen

Der Wahlkampf 2018, aus dem Bolsonaro siegreich hervorging, hatte bereits voller Desinformation gesteckt – insbesondere in den Sozialen Medien, die enorm wichtig sind in einem Land, wo es mehr Smartphones als Menschen gibt. Auf die 213 Millionen Einwohner kommen rund 242 Millionen Smartphones. Die Desinformation könnte im aktuellen Wahlkampf noch stärkere Auswirkungen haben als vor vier Jahren – was mit der extremen Schärfe der Auseinandersetzung zwischen dem ultra-rechten Amtsinhaber und seinem linken Erzfeind zusammenhängt. 85 Prozent der Brasilianer sind laut einer Umfrage des Instituts IPEC der Ansicht, dass Falschinformationen das Wahlergebnis beeinflussen könnten. Zugleich weisen die Umfragen jedoch darauf hin, dass nur noch relativ wenige Wähler zu überzeugen sind: In einer Erhebung des Instituts Datafolha sagten 78 Prozent, sie hätten ihre Wahlentscheidung bereits getroffen. Dieselbe in der vergangenen Woche veröffentlichte Umfrage sah Lula bei 45 Prozent und Bolsonaro bei 33 Prozent – in etwa die gleichen Werte wie in der vorherigen Datafolha-Befragung.

“Die Absichten der Wähler sind sehr festgelegt. Das macht es schwierig, das Bild an dieser Stelle durch politische Botschaften zu ändern”, sagt der Politikexperte Amaro Grassi von der Getúlio-Vargas-Stiftung. Das hält die Kandidaten aber nicht davon ab, die Wahrheit zu verzerren. So übertreibt Lula etwa die Erfolge seiner Wirtschaftspolitik, während Bolsonaro seinen Rivalen beschuldigt, gegen die einflussreichen Gruppen der Evangelikalen und der Agrarunternehmer eingestellt zu sein. Solche Botschaften zielen in der Schlussphase des Wahlkampfs nicht zuletzt darauf ab, die noch unentschlossenen Wähler oder solche aus dem Lager der aussichtslosen Kandidaten zu gewinnen.

 

APA/ Red.

 

 

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