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Der Messagitateur

Eine weltweit Aufsehen erregende Kraftanstrengung hat aus uns gierigen Ischgl-Idioten eine Vorzeige-Nation in Sachen Corona-Disziplin gemacht.
© Privat

Als wir vor einigen Wochen das komplizierte Heft mit der Rankinglist der Marketing-Chefs vorbereiteten, mussten wir uns zuallererst darauf einstellen, dass Corona-Hefte nicht ganz so voluminös sind wie ExtraDienst-Ausgaben in normalen Jahren. Also haben wir die Wertung der Top 1000 Marketing-Chefs auf 500 reduziert. Wobei wir beim Einkürzen der Liste auf die Vorjahres-Platzierungen, aber auch auf die Bedeutung von Firma, Firmengröße, Bekanntheit und Performance Rücksicht genommen haben. Und weil wir mitten im Virus-Wahnsinn steckten, wollten wir jene, die da das entscheidende Marketing für Österreich machen, sprich die Verantwortlichen im Bundeskanzleramt, in den Ministerien, unbedingt auch in der Liste dabei haben. Eine weitere Besonderheit des diesjährigen Rankings: Heuer haben deutlich mehr Juroren mitgestimmt als in den letzten Jahren. Ihnen danke ich besonders herzlich.

Der diesjährige Sieger mag für manche eine Überraschung sein. Für mich ist – nach ausführlicher Recherche und reiflicher Überlegung – sein Sprung von null auf die Nummer eins logisch, hoch verdient, um nicht zu schreiben zwingend. Magister Gerald Fleischmann ist der Mann im Bundeskanzleramt, der für die Koordinierung der Information der Öffentlichkeit in der Corona-Krise federführend verantwortlich zeichnet. Ein Interview mit dem machen? Ausgeschlossen. Aber Hintergrundgespräche mit mehreren involvierten Personen und auch einige Gesprächstakte, die ich ihm indirekt entlocken konnte, runden das Bild, was da in der Regierung dieser Tage und Wochen passiert, einigermaßen ab. Und geben Ihnen, geschätzter ExtraDienst-Leser, einen spannenden Einblick, was da so läuft im Auge des Taifuns. 

Der gebürtige Burgenländer und im Waage-Sternzeichen geborene Fleischmann soll jüngst in knappen Worten beschrieben haben, wie das Team um Kurz funktioniert: Jeder Politiker habe diverse Typen für verschiedene Aufgabenstellungen. Für politische Inhalte und Strategien sei Stefan Steiner in der Regierung seit 2011 im Einsatz. Das politische Handwerk und Abarbeiten und die Gesetze seien die Aufgabe von Kabinettschef Bernhard Bonelli. 

Und dann gebe es einen für Kommunikation und Spin, für Geschichten und Storys, für Medien und Journalismus. Das mache seit 2011 er. Pressesprecher bis 2018, seitdem Medienbeauftragter und damit auch für die so wichtige Medienpolitik zuständig. Sein Aufgabengebiet reiche von der strategischen und medialen Umsetzung der Projekte im Bereich Medienpolitik bis hin zur Information über die Abarbeitung des Regierungsprogramms, wobei Fleischmann auch für die Medienförderung zuständig ist. 

Der Mann, der Kundenmagazine machte, der beim Standard und News journalistisch tätig war, musste viel an Kritik einstecken (zuletzt gab’s einen offenen Brief von Dr. Horst Pirker an den Kanzler, in dem der News-Herausgeber die Medienförderung scharf kritisierte), wurde scharf angegangen, dass Medien wie der Falter oder der Standard untergingen. Seine Argumente dagegen sind klar und nachvollziehbar: Da jedes Medium auch ein Unternehmen sei, könne es sich aus dem Härtefalltopf oder aus dem 38-Milliarden-Topf bedienen. Das sei nicht Aufgabe der Medienförderung. 

Fleischmann argumentiert, dass die einzige Branche, wo darüber hinausgehend als Sonderaktion etwas auf die Beine gestellt wurde, die Medienbranche sei. Die seien für den Bundeskanzler so etwas wie Lebensmittel oder die Justiz. Und keine normale Firma wie etwa ein Automechaniker. Medien seien systemrelevant. Deswegen brauche die Medienbranche eine eigene Förderung. Das jetzt bekannte Medienpaket soll übrigens ausgebaut werden. Fachzeitschriften, Gratismedien und dergleichen dazukommen. Da sei man aber konzeptiv noch im Anfangsstadium.

Mit der Medienförderung würden drei Dinge gefördert, so argumentiert der Kanzlerberater: Druck, Vertrieb und das Senden. Sprich Zeitungen müssen drucken, müssen ihr Produkt vertreiben und im Hörfunk und TV muss gesendet werden. Dann gibt’s Förderung. Die personellen Probleme der Medien-unternehmen seien durch die Wirtschaftsförderung abgedeckt. Für die Entscheidung, wer wie viel kriegt, hätte man nicht beurteilt, wer Mitglied im Presserat sei oder wer nicht. Und dass der Standard untergehen würde, stimme einfach nicht, so wehrt er sich gegenüber Kritikern. Denn der bekäme rund eine halbe Million Euro…

Wussten Sie, dass der Kanzler von seinen Mitarbeitern als „Schwamm“ tituliert wird? Ich habe das jedenfalls noch nie gehört. Aber ein Mitarbeiter aus seinem Team hat es mir erklärt. Der Mann, der am Tag 17 bis 18 Stunden arbeitet, nur drei bis fünf Stunden schläft, um sechs Uhr früh zu arbeiten beginnt und um zwei zu Bett geht, habe, so tönt es in seinem Team, nicht einen, drei oder 27 Berater, sondern acht Millionen. Kurz, so hört man, redet mit allen. Hört sich alles an. Telefoniert rund um die Uhr. Filtert das heraus, wovon er glaubt, dass es wichtig, relevant und entscheidend ist. Ist sohin ein Mann, der nach der „Methode Schwamm“ arbeitet. Alles aufsaugt und dann die Entscheidungen trifft. Bei Briefings zu den Pressekonferenzen gibt es Vorbesprechungen. Wenn er eine Fernsehansprache hält, dann sitzen alle zusammen und basteln herum. Und da hört er sich jede Meinung ganz genau an. Diskutiert wird sachlich. Tabus gibt es keine. Eine Vorbereitung für eine Pressekonferenz oder Ansprache dauert eine Stunde. 

Und dann das Thema Message Control. „Wir können“, so soll Fleischmann gesagt haben, „über Message Control streiten. Oder diese Methodik kritisieren. Aber in einer Krise ist eine stringente, einheitliche Kommunikation aller Entscheidungsträger eine Überlebensfrage.“ In der Corona-Krise gab es keine Zeit zum Verzetteln. Manchmal geht sich’s nicht aus, dass man die Gemeinden, die Länder, die Interessensvertretungen in ganz schnell zu treffende Entscheidungen einbindet, indem man das bis zur Neige ausdiskutiert. Anschober, Gewessler, Nehammer, Schramböck, Blümel, alle haben in der heißen Phase über das Kanzleramt kommuniziert. Alles passierte an diesem Ort. Selbst Vizekanzler Kogler ist ins Bundeskanzleramt übersiedelt, hatte dort ein eigenes

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immer. Dort war auch die Krisen-Kommandozentrale. Da galt es, schnell und akkordiert mit einer Stimme zu kommunizieren. 

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obei ich es für lächerlich halte, wenn sich jetzt Menschen darüber echauffieren, dass Kurz mit der Angst der Mitbürger gespielt hätte: Um Menschen vor einer tödlichen Pandemie zu warnen, kann man auch einmal deutliche Sätze sagen. Sonst nimmt das keiner ernst. Und genau darin liegt ja, liebe ExtraDienst-Leser, meine Befürchtung: Denn mit der Lockerung der Maßnahmen (wo in Deutschland die Reproduktionsrate schon wieder über eins hochgeschnellt ist) kann es sehr schnell dazu kommen, dass man die Sicherheitsmaßnahmen über Bord wirft, leichtsinnig wird. Respekt (für mich das bessere Wort als Angst) ist in solchen Momenten jedenfalls angebracht. Und den erzielt man nur mit deutlichen, bisweilen drastischen Formulierungen. 

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nd wie ist das mit der Werbung abgelaufen? Fleischmann soll erzählt haben, dass alles sehr schnell gegangen sei. Die erste Kampagne musste praktisch aus dem Boden gestampft werden. Da ging es nur um die Corona-Hotline 1450. Damit konnte kommuniziert werden, was zu tun ist, wenn man Fieber hat, wenn man Husten hat, wenn man Symptome zeigt. „Gebastelt“ wurde diese Koproduktion aus Innenministerium und Gesundheitsministerium. Im ORF von Peter Resetarits immer wieder aufgesagt. Als Nächstes kam das Zusperren der Schulen. Dazu gab es Inserate vom Bildungsministerium. Was bedeutet das für mein Kind? Wenn ich im Supermarkt arbeite, kann ich es trotzdem wohin bringen? Dann gab es weitere Informationskampagnen, was alles gesperrt wurde. 

Und dann kam Fleischmann zu Ohren, dass das Rote Kreuz, das auch das Gesundheitsministerium berät und als Einkäufer für das Ministerium tätig ist, Masken, Handschuhe, Schutzbekleidung und dergleichen besorgt, gemeinsam mit zwei Agenturen und mit Philipp Maderthaner und Martin Radjaby-Rasset sich das Ganze überlegt hat. Fleischmann erfuhr von diesen Aktivitäten, lud die handelnden Personen zur Präsentation ins Bundeskanzleramt ein. Alle kamen. Die vom Roten Kreuz beauftragte Kampagne „Schau auf dich, schau auf mich“ war sehr gut geeignet, um die Bevölkerung über die Maßnahmen zu informieren, weshalb das Kanzleramt die Inseratenkosten übernahm und entschied, dass das auf allen Titelseiten in ganz Österreich geschaltet wird. Am Sonntag. Und am Montag noch einmal. 

Damit entstand die größte Kampagne aller Zeiten. 15 Millionen Euro flossen (das Budget ist noch nicht ganz aufgebraucht) in diese Aktion. Um eine Relation dazu zu finden: Eine heimische Nationalratswahlkampagne darf nicht mehr als sieben Millionen Euro kosten. Und wenn man sich nun das Ergebnis anschaut und die Cleverness, wie das angelegt ist (man nehme eine Kampagne des Bundeskanzleramtes, entschärfe die politische Einseitigkeit durch die Hinzunahme des Roten Kreuzes, katapultiere sich damit europaweit auf einen der vordersten Erfolgsplätze der Viren-Bekämpfung und beschere überdies der Kanzlerpartei ein noch nie dagewesenes Zustimmungs-Wachstum bis hart an die 50-Prozent-Grenze), dann weiß man, was da gelungen ist. In mehrfacher Hinsicht. Sohin kann zusammenfassend festgestellt werden: Nach meiner Meinung hat die Wertung der Jury noch nie so präzise ins Ziel getroffen wie 2020. Wobei der klare Abstand des Führenden auch eine deutliche Sprache spricht.

Ich hoffe, dass wir irgendwann diesen Wahnsinn als schräge Episode unseres Lebens erinnerungsverklärend verarbeiten können. Und wünsche Ihnen allen, dass Sie gesund bleiben. Und freue mich darüber, dass wir wieder einen fetten ExtraDienst für Sie produzieren durften. Den es natürlich auf www.mucha.at und www.mgmedien.at in Form eines Newsreaders – komplett mit allen Inseraten – zu lesen gibt. Wenn Sie sich noch davor scheuen, ins Büro zu gehen.

Herzlichst Ihr

Christian W. Mucha

Herausgeber

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